Nein, wir brauchen sie nicht „die Freiheit, aufdringlich werden zu dürfen“. So haben es  Catherine Deneuve und weitere Protagonistinnen der französischen Prominenz  jüngst in einem offen Brief im „Le Monde“ gefordert. Nein, die Verfasserinnen dieses Briefs sind wahrscheinlich nicht dumm, nicht täteridentifiziert und haben sich nicht dem patriarchalen Machtverhältnis von Mann und Frau untergeordnet. Sie haben wahrscheinlich einfach nur Pech beim Denken. #metoo gibt Nachhilfe.

Vom Werben und Bedrängen – der Unterschied macht’s

Wenn ich als Mann oder Frau mit allen meinen mir zur Verfügung stehenden Ressourcen um einen Mann oder eine Frau werbe, charmant bin, witzig bin, intelligent bin, mich ansehnlich zurecht gemacht habe, beim Frisör war und gut rieche und dieses Werben dann abschlägig beschieden wird, wozu – zum Teufel – soll es dann gut sein, „aufdringlich“ zu werben? Wenn mein Dialogangebot abgelehnt wird, wozu soll es dann gut sein, der Werbung die Grenzüberschreitung folgen zu lassen? Aufdringlichkeit als Steigerung von Werben funktioniert nicht. Das ist Unsinn. Entweder ich werbe oder ich bin aufdringlich.

 

Der Tanz der Erotik ist der Tanz des Lebens

Ja, ich möchte weiterhin werben dürfen mit allem was ich kann. Und ich möchte auch weiterhin beworben werden. Mit allem was Frau kann. Und wenn daraus ein Dialog zwischen Zweien entsteht, dann freut mich das. Und der Dialog ist es, der die Basis für ein zugewandtes Miteinander bildet. Ob das in Sexualität mündet, einem Abendessen bei Kerzenlicht oder einfach nur ein Fest der Energie von Mann und Frau (oder zwei Menschen in was auch immer für einer Konstellation) in diesem einen unwiederbringlichen Moment ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

 

Wenn der Tanz vom Trauma geführt wird und nicht mehr von den Tanzenden

Sobald jemand „aufdringlich wirbt“ oder „aggressiv flirtet“ wird die Grenzüberschreitung mit dem Dialogangebot vermengt und verwechselt. #metoo benennt das.

Wenn Menschen allerdings eine Erfahrung der Grenzüberschreitung machen, ihnen nicht ein Dialog angeboten wird, sondern sie mit Machtausübung konfrontiert sind, sie in diesem Machtverhältnis unter Umständen sogar sexualisierte Gewalt erfahren, sie ihre Grenzen nicht verteidigen dürfen und lernen, diese Grenzüberschreitungen ohnmächtig hinnehmen zu müssen, dann verwechseln diese Menschen in ihrem weiteren Leben leicht das Werben eines anderen mit der Grenzüberschreitung, weil jede Kontaktaufnahme die Erfahrung der Grenzüberschreitung aktiviert. Dann wird das Kompliment als sprachlicher Übergriff gehört, die Frage nach einer Verabredung als Entgrenzung und die körperliche Berührung, als Teil der Kontaktaufnahme, als Test, ob Mann oder Frau vielleicht noch weiter gehen könnte. Was ist ein ernsthaft interessiertes Kontaktangebot und was ist „Grooming“, das nur dazu dient, das Opfer in die Falle zu locken? Dies herauszufinden, muss in jedem neuen Kontakt als Neuverhandlung von den Akteuren geleistet werden. That’s life. Ohne Garantien auf irgendwelche Sicherheiten. Jeder Mensch ist wohl mehr als einmal an jemanden geraten, der den gerade entstehenden Kontakt in irgendeiner Form begonnen hat, missbräuchlich zu gestalten. Dann gibt es nur eins: Stopp, Grenze, und Tschüss! Und der nächsten Begegnung eine neue Chance geben. #metoo sammelt die Attacken.

 

Wer, wie, was, warum? Wer nicht fragt bleibt dumm! #metoo liefert das Konkrete.

Was ist eine angemessene Annäherung mit sexueller Konnotation zwischen zwei Menschen? Und was ist die unzulässige Machtausübung durch Grenzüberschreitungen gegenüber der schwächeren Person?

Das ist die Kernfrage der gegenwärtigen Debatte, die dann erfolgreich sein kann, wenn zwischen Gewalt und Dialog differenziert wird. Das beginnt bei der Sprache, setzt sich in den Handlungen fort und endet bei der Bewertung der Interaktionen. #metoo ist eine eindeutige Berwertung des Erlebnisses.

 

Blicken wir nur auf die Gewalt, leben wir in einer Welt voller Gewalt

Hilfreich wäre es auch, dass Menschen über gelungene Annäherungen berichten und nicht ausschließlich über die misslungenen. Es scheint so zu sein, dass es keine ausreichenden Modelle gibt für die Kontaktaufnahme zwischen zwei Menschen und eine große Verunsicherung entstanden ist bezüglich der Fragen: Was darf ich? Was ist erwünscht? Was lasse ich bleiben? Wie machen das die anderen?

Wie wäre es, wenn Männer und Frauen eine Bewegung ins Leben rufen, bei der Menschen in kurzen Statements formulieren, wie sie sich Kontaktaufnahme wünschen? #talktome, #smileatme, #touchme oder so ähnlich. Diejenigen, die einfach nur in Ruhe gelassen werden möchten, können sich ja für #menot entscheiden. Dann wissen alle, was zu tun ist. Nämlich nichts. Für die Vorsichtigen, vielleicht auch Unentschiedenen käme #makeslow oder #keepdistancefirst in Frage.

 

Von der Sehnsucht und von der Angst

Wir sind als Menschen so designed, dass wir Kontakt, Nähe und Sexualität zu anderen Menschen brauchen, um ein gesundes Leben zu leben. Wenn wir als Gesellschaft dort landen, dass wir die Sehnsucht nach Liebe, Sexualität und Nähe unterdrücken, aus Angst, Gewalt zu erleben oder Gewalt auszuüben, wären wir an unserer Aufgabe als zivilisierte Spezies gescheitert. #metoo ist ein kommunikativer Schritt zur Differenzierung.

 

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