Eines muss man dem Autorenteam der Bibel wirklich lassen: Das Vergebungskonzept der katholischen Kirche ist in sich grandios geschlossen. Lückenlos selbstreferenziell, machtorientiert und zielgerichtet täterzentriert. Da saßen clevere Architekten beisammen, als sie das zusammengeschustert haben. #churchtoo ist die Antwort von Betroffenen auf die sexualisierte Gewalt, die sie von Repräsentanten der Kirche erleiden mussten.

 

Die Vergebung durch das Opfer ist der Beleg für die Täter, dass ihre Manipulation erfolgreich war

Wenn nach der Erfahrung sexualisierter Gewalt der Vertreter der katholischen Kirche das Opfer fragt: Vergibst du mir? Und das Opfer sagt: Ja, dann ist das das Gleiche, wie wenn ein Vergewaltiger sein Vergewaltigungsopfer im Anschluss an die Vergewaltigung fragt: War’s schön? Und das Opfer sagt unter Tränen und im Schock: Ja.

Dem Opfer wird durch das Abringen der Vergebung die Mitverantwortung für den Abschluss der Täter-Opfer-Dynamik übertragen, der Täter oder die Täterin entlastet und ein Scheinfrieden auf Kosten des Opfers ausgesprochen.

#churchtoo ist ein erster Schritt heraus aus diesem Drama.

 

Verantwortungsübernahme und Reparatur sind die Schlüssel für die Betroffenen

Warum die Betroffenen sexualisierter Gewalt immer noch mit Vertretern der katholischen Kirche sprechen wollen – gerade wieder sechs von ihnen in Irland – ist mir immer weniger verständlich. Die Kirchenoberen sind längst als Heuchler enttarnt, die vor allem eines im Blick haben: Die Interessen ihrer Organisation. Der Papst macht das, was das Führungspersonal von Täterorganisationen immer machen, wenn die Berichte von sexualisierter Gewalt in der eigenen Organisation nicht mehr zu verheimlichen sind. Sie geben das zu, was nicht mehr zu leugnen ist und sie binden die Betroffenen in einen Pseudo-Dialog ein, der deren Zorn aus dem Diskurs ausleiten soll. Und das immer wieder sehr erfolgreich. #churchtoo ist ein erster Stock in diesem Rad.

Wenn die katholische Kirche es ernst meinen würde, hätte sie Jahre nach dem Bekanntwerden des epidemischen Ausmaßes der sexualisierten Gewalt längst andere Strukturen, wären die Betroffenen angemessen entschädigt worden und die katholische Kirche würde von innen heraus das Kommando zur Aufklärung erteilen und externe Ermittler in ihre Organisation holen.

 

Wenn aus verletzten Kindern zornige Erwachsene werden, haben sie eine Chance auf ein gutes Leben

Die Kinderanteile in den erwachsenen Betroffenen sexualisierter Gewalt hoffen bis zum bitteren Ende, dass doch noch alles gut wird. Dass sie endlich gesehen werden mit ihrem Schmerz, ihrer Trauer und ihrer Verzweiflung. Und genau diese Mechanik menschlichen Seins beutet die katholische Kirche brutal aus. Und die Betroffenen schlucken dieses Dialog-Surrogat. Und wer es nicht tut, wird als unversöhnlich stigmatisiert.

Wenn die Erwachsenen ihre kindlichen Anteile heilen wollen, müssen sie sich von den Tätern und der Täterorganisation abwenden. Kein Täterkontakt heißt es in der Psychotraumatologie. Und sie müssen sich um sich selbst kümmern und schauen, was braucht dieses verletzte Kind in mir um zu heilen?

Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben brauchen Verbündete. Die Vertreter der katholischen Kirche sind keine, sie sind Täterloyal. Sonst würden sie dieser Organisation den Rücken zuwenden oder von innen heraus alles in ihren Möglichkeiten stehende tun, um die Betroffenen zu unterstützen. Nein, ich meine an dieser Stelle nicht beten.

Und der Zorn? Und der Schmerz? Und die Trauer?

Das wird alles immer weniger. Sobald alles gesagt wurde, was zu sagen ist, sobald alles getan wurde, was getan werden kann und der Start in ein wirklich gutes Leben begonnen hat. Und was ist mit der Vergangenheit? War da wirklich alles schlecht? Waren es da wirklich alles Kriminelle, denen es nur um sich selbst ging? War ich denen als Kind wirklich völlig egal? Das muss jeder und jede für sich selbst beantworten. Die Wahrheit ist zumutbar!

Aber was ist mit den Kindern heute? Die werden doch immer noch misshandelt? Das wird sich doch nicht ändern, solange die gleichen Leute in den selben Strukturen die immer gleiche Hölle für die Kinder von heute realisieren? Okay, das ist dann eine Aufgabe für Fortgeschrittene. Dann muss man den Laden dicht machen. #churchtoo muss dann irgendwann die Vergangenheit sein.

Mehr zur aktuellen Berichterstattung liefert die TAGESSCHAU.

 

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