Menschen berühren sich als Paar an ihren tiefsten Verletzungen. Die alten Traumata aus der Kindheit werden aktiviert und aus dem Verliebtsein wird eine schmerzliche Verbindung. Erkennt das Paar den Ursprung seiner Konflikte, kann es die biographischen Erfahrungen aus der Vergangenheit in der Gegenwart integrieren und eine balastfreie Zukunft gestalten.
Zu mir hat einmal jemand gesagt: Auf der einen Seite beschäftigst du dich mit Trauma und der Integration von biographischen Elementen und auf der anderen Seite beschäftigst du dich mit Partnerschaft, Beziehung und Sexualität. Wie passt denn das eigentlich zusammen? Das sind doch so zwei komplett verschiedene Baustellen? Wie bist du denn dazu gekommen?
Da habe ich gemerkt, das ist eine echt gute Frage, die für mich klar macht, was für andere anscheinend überhaupt nicht klar ist: Nämlich, ob ich mich mit Trauma und biografischen Elementen beschäftige oder mit Partnerschaft und Sexualität, das könnte man ein bisschen überspitzt formulieren, sind zwei verschiedene Titel des gleichen Themas.
Menschen die sich mit ineinander verlieben und die dann nach einer Weile eine Partnerschaftsbeziehung oder eine sexuelle Beziehung eingehen haben, lange bevor ihnen das bewusst war und lange bevor sie der Pfeil Amors getroffen hat, eine Verbindung miteinander gehabt, die man Trauma-Bonding nennen kann. Trauma-Bonding ist ein Magnetismus, der Menschen voneinander angezogen sein lässt, die als Kinder die gleichen Verletzungen erfahren haben. Trauma-Bonding klingt gefährlicher als es wirklich ist und es ist vor allem nicht unbedingt ein Problem sondern vielmehr ein Hinweis darauf, was in der eigenen Biographie noch etwas Beachtung braucht, um gut in die Persönlichkeit integriert zu werden.
Jeder und jede von uns trägt bestimmte Verletzungen mit sich herum und irgendwann in unserem Leben, als Jugendliche oder auch als Erwachsene treffen wir dann jemanden, der ganz genau zu dieser Verletzung passt und in diese Person verlieben wir uns bzw. fühlen uns von dieser Person sexuell sehr stark angezogen. Eine ganze Weile geht das dann oft gut, der Hormoncocktail in unserem System lässt uns die Anfangszeit mit einem neuen Menschen oft als einen Rausch erleben und irgendwann, manchmal früher, manchmal später, fangen die Schwierigkeiten für das Paar an.
Die Themen, die das Paar als problematisch bewertet, können im Außen ganz unterschiedlich aussehen, haben aber im Innern die alten Verletzungen aus Kindertagen zur Ursache. Und diese alten Verletzungen kommen nun ans Tageslicht. Und zwar so lange, bis sie integriert sind. Integriert bedeute an dieser Stelle, die alten Verletzungen werden bewusst gemacht und dann in der Gegenwart neu verhandelt. Was das ganz genau bedeutet, erläutere ich an einem Fallbeispiel.
Manche Paar scheitern an einer gelungenen Nähe-Distanz-Regulation, die für beide ein passendes Maß an Nähe und Autonomie schafft. Das kann zum Beispiel daher kommen, dass ein Partner in seiner Kindheit ganz wenig Nähe und Zuwendung von seinen primären Bezugspersonen bekommen hat (meistens sind das die Eltern) und deswegen jetzt, wo er oder sie einen liebevollen und zugewandten Partner hat, endlich die ganze Zuwendung und Liebe genießen will. Und irgendwie klappt das dann nicht.
Weil genau so jemand sich möglicherweise einen Partner auswählt, der als Kind von den Eltern mit Zuwendung und Aufmerksamkeit geflutet wurde und der nun, weil er sich jetzt ja in einer erwachsenen Partnerschaft wähnt, denkt, jetzt gibt es ganz viel Raum und Freiheit zur individuellen Entfaltung. Und plötzlich finden diese beiden sich in einer Situation wieder, in der einer die ganz Zeit der Nähe des anderen hinterherläuft und dieser die ganz Zeit vor der Einengung seines Partners wegläuft. Und dann laufen die beiden im Kreis. Dieses Tänzchen geht dann so lange, bis das Paar sich trennt oder einer von beiden dieses Verhaltensmuster durchbricht und das Weglaufen oder das Hinterherlaufen stoppt. Dann können beide stehen bleiben und schauen, ob ihnen ein bewusster Umgang mit der Situation gelingt und sie aus diesem Standardmuster ausseigen können. Ein Ausstieg sieht dann so aus, dass beide wahrnehmen und kommunizieren, wie viel Nähe und Distanz brauchen sie denn beide als Erwachsene und nicht als die Kinder, die sie einmal waren. Und dann beginnt die Neuverhandlung der beiden mit ihrer eigenen Biographie und die Neuverhandlung des Paares miteinander. Und dann entscheidet sich, ob das Paar gemeinsam wächst oder ob die alten Muster stärker sind, was dann für das Paar bedeutet, dass die beiden sich ewig streiten und sich die Hölle in ihrer Partnerschaft bereiten oder sie einen Weg finden, indem sie gleichermaßen autonom und verbunden sein können, was die Grundlage für eine reife und erwachsene Partnerschaft ist.
Die spannende Frage ist in solchen Prozessen: Ist das Paar bereit und in der Lage, einen gemeinsamen Bewusstseinsprozess zu gestalten und diesen in ihrem Alltagsleben als Paar zu verwirklichen.
Die Lösung besteht für das Paar darin, zu erkennen, dass es ist nicht der andere ist, der jetzt ein Problem in meinem Leben verursacht, sondern dass der andere das Hinweisschild für ein Thema in mir ist, dass ich noch nicht ausreichend angeschaut, bearbeitet und integriert habe.
Manchmal ist es aber einfach auch alles viel zu viel und die Partner sind ständig vom anderen getriggert sind ständig geflutet sind und dann gilt es zu schauen, ob der Prozess ganz langsam und in kleinen Portionen gestaltet werden kann oder ob es erst einmal Abstand braucht, damit sich beide wieder selbst spüren können und nicht mehr nur den Schmerz der Vergangenheit. Manche Paar entscheiden sich auch für die Trennung, weil es einfach nicht geht. Manchmal geht es nicht. Dann gibt es eine Pause und wenn die Ressourcen wieder gestärkt sind, beginnt der gleiche Prozess mit einem neuen Partner. Das ist manchmal gut, manchmal noch schwieriger, es weiß halt niemand, wie es laufen wird. Egal, ob das Paar zusammen bleibt oder sich trennt.