Angst zu haben ist zutiefst menschlich. Und eine Angststörung zu haben für immer mehr Menschen leider auch. Wir alle haben Ängste. Manche mehr und manche weniger. Die meisten von uns wollen mit der Angst nichts zu tun haben. Und wenn wir doch einmal in Kontakt mit ihr sind, wollen wir nur noch eins: Sie loswerden. Aber worum geht es eigentlich bei diesem Gefühl, das keiner haben will und das doch in uns allen wohnt?
Es ist wichtig zu wissen, was mit uns los ist! Es macht einen Unterschied, ob wir eine Angststörung haben oder einfach nur Angst.
Haben wir Angst oder eine Angststörung? Oder haben wir ein Schock- oder ein Entwicklungstrauma? Nur wenn wir wissen, was mit uns los ist, können wir entscheiden, wie wir mit der Situation umgehen wollen. Vorausgesetzt wir sind dazu bereit, uns der Situation zu stellen.
Angst als menschliche Reaktion auf eine Gefahr
Wenn plötzlich Feuer ausbricht, wir von einem anderen Menschen oder einem Tier angegriffen werden oder wir merken, dass der Fluss, in den wir zum Schwimmen gegangen sind, viel schneller fließt, als es zunächst den Anschein hatte, dann bekommen wir Angst. Und zwar richtig. Unser Körper schüttet großzügig Adrenalin aus, das Herz beschleunigt seine Schlagzahl auf Höchstniveau und unser Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Schließlich will unser ganzes System nur eins: überleben. Wir orientieren uns im Bruchteil einer Sekunde und treffen eine Entscheidung: Feuer löschen oder aus dem Haus rennen? Gegen den Angreifer kämpfen oder davon laufen? Mit aller Kraft an das rettende Ufer schwimmen oder den Kopf über Wasser halten und auf eine günstige Ausstiegsstelle warten?
Angst kann eine Verbündete sein. In manchen Situationen sogar unsere einzige.
Diese Angst hilft uns, eine bedrohliche Situation zu meistern. Jeder und jede hat das schon einmal erlebt. Vielleicht ein guter Moment, um einmal zu sagen: Danke, liebe Angst, dass Du mich beschützt hast. Also, sei das nächste Mal, wenn es brenzlig, wird bitte wieder bei mir.
Gelingt es uns nicht, das Feuer zu löschen oder aus dem brennenden Haus zu laufen, weil wir starr vor Schreck in die Flammen schauen und wir nur dadurch überlebt haben, weil ein beherzter Feuerwehrmann uns gerettet hat, haben wir möglicherweise ein Schocktrauma.
Welche der drei Möglichkeiten – Kampf/Flucht/Immobilität – unser menschliches System auswählt, entzieht sich unserem freien Willlen.
Die Angst vor etwas
Menschen haben Angst vor Mäusen, anderen Menschen, Höhe, Enge, Dunkelheit, tiefem Wasser, Hunden, Krankheiten, Geflüchteten, Fliegen, Geldmangel, Einsamkeit und vor allem davor: öffentlich zu reden, der Spitzenreiter bei den Ängsten der Deutschen. Ob hier eine Angststörung vorliegt, bedarf der näheren Betrachtung.
Die Altlasten der Vergangenheit
Diese Ängste haben nichts mit der Gegenwart und ihren Herausforderungen zu tun, sondern haben ihren Ursprung in einem Ereignis in der Vergangenheit, bei dem das menschliche System nicht die Möglichkeit hatte, erfolgreich zu kämpfen oder zu fliehen und somit der Angst adäquat zu begegnen und die Situation erfolgreich zu meistern. Jetzt wird diese alte Angst aus der Vergangenheit unbewusst durch etwas aktiviert, das gar nicht wirklich gefährlich ist.
Ich kann in der Gegenwart nicht nachträglich das Problem der Vergangenheit lösen
Das Hotelzimmer nach Mäusen abzusuchen entlastet zwar für den Moment, löst die Angst aber nicht auf. Hier braucht es eine Entkopplung des Ursprungsereignisses von den Auslösern der Gegenwart. Anders ausgedrückt: Hier gibt es noch ein Thema, das angeschaut werden möchte.
Die Angst vor der Zukunft
Wie werden die Geschäfte im nächsten Jahr laufen? Wird mich mein Lebenspartner verlassen? Werde ich gesund bleiben? Solche quälenden Gedanken zu haben ist weit verbreitet. Allerdings nutzen sie niemandem. Natürlich ist es sinnvoll, sein Geschäft verantwortungsvoll zu führen, seine Partnerschaft zu pflegen und gesund zu leben. Aber auch das garantiert uns gar nichts. Der Erfolgreichste kann Pleite gehen, der beste Partner kann verlassen werden und der Gesündeste erkranken oder sogar sterben.
Das Ideen-Potpourri der Angst
Diese Ängste sind meist ein Symptom von einer mangelnden Verbindung mit uns selbst im Hier und Jetzt und haben ihre Ursachen möglicherweise in einem Entwicklungstrauma. Wer in einer unsicheren Zeit, in einer unsicheren Umgebung aufgewachsen ist, hält auch als Erwachsener das Leben für gefährlich und sucht sein Leben und seine Umwelt permanent nach Gefahren ab, wo keine zu finden sind. Hieraus kann eine Angststörung entstehen. Wer voll und ganz mit seinem Körper und seinen Gefühlen verbunden ist und wessen Aufmerksamkeit auf das ausgerichtet ist, was er oder sie in der Gegenwart tun kann, wird sich weniger von angstbesetzten Zukunftsszenarien tyrannisiert fühlen.
Angst als Gefühl
Manchmal fühlen wir Angst. Und? Wenn wir uns in keiner lebensbedrohlichen Situation befinden, haben wir die Möglichkeit, diese Angst einfach zu fühlen und zu beobachten. Wie sie durch den Körper fließt, wie sie Gänsehaut verursacht und wie sie in Wellen kommt, die wieder abebben. Beim Fallschirmspringen, bei einem gruseligen Film, nachts im Dunkeln oder wenn wir auf einem hohen Gebäude stehen und herunter schauen. Anfangs etwas ungewohnt, kann es sich sehr prickelnd anfühlen, diese Lebensenergie im Körper zu spüren.
Die Königsdisziplin – Die Panikattacke
Die körperliche Reaktion bei einer Panikattacke ist ganz ähnlich wie bei dem Ausbruch des Feuers. Herzrasen, Tunnelblick, Schweißausbrüche, Zittern und ein hoher Adrenalinpegel sind die typischen Symptome. Nur eben ohne Feuer. Oder ohne Angreifer. Oder reißendem Fluss. Völlig ohne erkennbaren äußeren Auslöser schaltet das menschliche System auf einen Modus, den es in einer lebensbedrohlichen Situation wählt und der das Überleben gewährleisten soll. Was von einem Psychiater nach ICD-10 knapp mit F 41.0 diagnostiziert wird, ist für die Betroffenen häufig eine sehr herausfordernde Lebensaufgabe. Jetzt geht es darum, Wege zu finden, wie sich das Nervensystem wieder selbst regulieren lernt. Langsam und in kleinen Schritten.
Wer bist du? Was willst du? Angst, sprich mit mir!
Es lohnt sich, die eigenen Ängste besser kennen zu lernen. Was uns fremd ist, kann uns ängstigen, was wir kennen, kann ein Freund werden. Die schlechteste Lösung ist, wenn wir so tun, als hätten wir keine Ängste. Mag sein, dass wir unsere Ängste manchmal nicht fühlen können oder wollen, aber irgendwann melden sie sich. Und dann ist es gut, wenn wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Eine Angststörung ist kein Todesurteil. Auch wenn es sich vielleicht erst einmal so anfühlt.
Mehr über mich und meine Arbeit finden Sie auf meiner Homepage.
Wer sich bei der Erforschung seiner eigenen Ängste eine Begleitung wünscht, kann hier einen Beratungstermin vereinbaren.
Ein echter Experte in punkto Angst ist Mr. Ramesh. Viel Spaß mit seinem Video!