Wovon zum Teufel ist die Rede, wenn jemand sagt: Ich liebe dich!
Zu irgendeinem Zeitpunkt einer immer intimer werdenden Beziehung zwischen zwei Menschen sagt einer von beiden irgendwann: Ich liebe dich!
Der andere lächelt dann verklärt und antwortet häufig: Ich dich auch.
Aber wovon reden die zwei? Von einem Gefühl starker Zuneigung, einer immer tiefer werdender Verbindung in Einheit mit einem erotischen Interesse? Davon, dass durch diese Beziehung alle ihre Sehnsüchte aktiviert wurden und ab sofort der andere all das erfüllen soll? Oder davon, dass sie sich nun eingelassen haben und aufgrund ihrer Entwicklungstraumata es ab diesem Zeitpunkt wie sterben empfinden würden, wenn der andere wieder aus ihrem Leben verschwindet?
Wenn wegen des Zustandes des Verliebtseins der willentlich steuerbare Teil des Gehirns gerade mit einem Hormoncocktail geflutet wird, kann es ohnehin hilfreich sein, das Gespräch auf später zu verschieben und erst einmal die Wirkung der körpereigenen Drogen ihren Job machen zu lassen.
Die Befreiung der Liebe von Störgeräuschen
Wenn ich mit meinem Gegenüber spreche und um das Wort Liebe andere Wörter platziere, die dann in Sätzen ihren Weg in das Ohr des anderen finden, muss ich sagen, was ich meine wenn ich will, das der andere versteht wovon ich spreche. Das gilt besonders für Gespräche in intimen Beziehungen, da wir in diesen besonders verletzbar sind und nur zu gerne das hören, was wir hören wollen und nicht immer unbedingt das, was der andere sagt. Hier besteht ein großes Risiko, mehr Schaden anzurichten als tatsächliche Verbindung zu schaffen und Zugewandtheit auszudrücken.
Wahre Liebe
Wenn ich das sage, was ich meine und mein Gegenüber spürt, dass ich es ernst meine, dann kommen wir in einen echten Kontakt miteinander und fangen an, einander zu vertrauen. Uns selbst zu vertrauen und dem anderen zu vertrauen. Seinen Worten zu vertrauen. Indem wir das meinen, was wir sagen und das tun, wovon wir sprechen.
Und außerdem: Klarheit und Authentizität sind supersexy. Wenn dein Gegenüber spürt, dass dein Sprechen, Denken, Fühlen und Handeln eins ist, ist ein Anfang dafür geschaffen, zu verstehen, worum es geht, wenn er oder sie sagt: Ich liebe dich.
Wo kommt sie denn eigentlich her, die Liebe?
Die Liebe ist eine Erfindung des Bürgertums des 18. Jahrhunderts. Anfang der 1980er Jahre hat die Systemtheorie (mit Niklas Luhmann als Pionier) Liebe als einen sprachlichen Code definiert, der in einer polykontextuellen Gesellschaft stabilisierend wirken soll. Im Gegensatz hierzu stehen die Erfahrungen der Menschen in der modernen Welt, in der sie jederzeit neue Entscheidungen über ihre Liebe treffen und alte Entscheidungen jederzeit revidieren können. Die Liebe ist ein flüchtiges Element, am flüchtigsten in ihrer romantischen Erscheinungsform. Stabilisierend? Weit gefehlt! Beziehung, Bindung und Partnerschaft schaffen Vertrauen in einen anderen Menschen, die Liebe ist dafür eher ungeeignet.
Die Liebe festzuhalten gleicht einem Versuch, den eigenen Schatten zu fangen
Ist jetzt alles umsonst? Das Werben? Das Lieben? Die Sehnsucht? Die Gespräche? Im Gegenteil. Wenn dem sprachlichen Code der Liebe die Bedeutung gegeben wird, das alles fließen darf was ist und sich zwei Menschen dafür entscheiden, genau damit gemeinsam zu sein, dann stehen die Chancen gut, dass sie das ziemlich lange machen können. Jahre und Jahrzehnte. Dazu ist es notwendig, immer wieder neu zu klären, wo man als Liebende gerade steht und wie der nächste gemeinsame Schritt aussehen könnte. Liebe ist etwas Lebendiges mit einem manchmal ziemlich eigenwilligen Eigenleben. Und die Liebe verändert und entwickelt sich im Laufe unseres Lebens. Wenn wir ihr gut zuhören, kann daraus eine tiefe Freundschaft entstehen. Zwischen uns selbst und der Liebe und natürlich zu dem Adressaten unserer Liebe. Und von Zeit zu Zeit ist es gut unserem Partner zu sagen, was wir meinen, wenn wir sagen: Ich liebe dich.
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Ein kluger und unterhaltsamer Video-Beitrag zum Thema Liebe vom Entwickler der Gewaltfreien Kommunikation, Marshall B. Rosenberg, findet sich hier: