Trauma ist die Dominanz der Vergangenheit über die Gegenwart. Trauma ist nicht der Unfall, die Naturkatastrophe oder der Tod eines geliebten Menschen. Trauma ist das Resultat eines psychophysiologischen Prozesses, bei dem das menschliche Nervensystem mit einer überfordernden Situation so umgeht, dass der Mensch überleben kann. Die traumatisierte Person zahlt aber einen hohen Preis für das Überleben. In ihrem Leben dominiert ab dem Moment der Traumatisierung die Vergangenheit über die Gegenwart.

Aber was heißt das ganz genau?

 

Schocktrauma

Vielleicht bin ich als Kind im Alter von fünf Jahren auf die Straße gerannt, weil ich meinem Ball hinterhergelaufen bin. Dabei habe nicht auf den Verkehr geachtet, weil ich noch gar nicht so ganz genau weiß, wie das funktioniert mit dem Straßenverkehr. Mir war dabei nicht bewusst, dass das gefährlich ist, sondern ich wollte einfach nur meinen Ball holen. Und alles was ich noch mitbekomme, ist die Vollbremsung, die das gelbe Auto macht, und der Mann, der aussteigt und der völlig aufgeregt ist, und vielleicht sogar auch mit mir schimpft, was ich da mache, warum ich auf die Straße laufe ohne auf den Verkehr zu achten. Und dann stehe ich da als kleiner Knirps und bin total geflutet von diesem Ereignis. Vielleicht kann ich auch spüren, wie knapp das war. Denn mit fünf Jahren sind gelbe Autos ziemlich groß.

Und dann ist die Szene vorbei. Sie ist ein Stück Vergangenheit. Aber jedes Mal, wenn ich heute an der Straße stehe und es kommt ein gelbes Auto, habe ich diese Gefühle von damals. Angst, dass ich umgefahren werde. Angst, dass ich geschimpft werde. Angst, dass gleich etwas Gefährliches passiert. Vielleicht geht mein Puls nach oben, vielleicht fange ich an zu schwitzen, vielleicht werde ich total nervös. Dabei bin ich erwachsen, ich stehe an der Straße und ich warte, bis genug Platz ist, dass ich über die Straße gehen kann. Und dann dominiert die Vergangenheit (ich als Fünfjähriger auf der Straße, das Auto bremst, der Mann schimpft) über die Gegenwart (ich als Erwachsener stehe an der Straße, warte bis eine Lücke im Verkehr ist). Und ich habe ganz starke Gefühle, im Kontext von Trauma auch Trigger genannt. Ich habe dann jetzt die Gefühle von damals. Und ich erlebe die Gegenwartsituation in meinem inneren Erleben wie die Situation damals. Das bedeutet dann, ich bin getriggert.

Das nennt man ein Schocktrauma. Ein singuläres Ereignis, wie das Kind, das auf die Straße läuft, das gelbe Auto, das bremst. Die traumatische Energie bleibt dann im System erhalten, bis diese Erfahrung integriert ist.

Entwicklungstrauma

Außer dem Schocktrauma gibt es noch das Entwicklungstrauma. Wenn wir kleine Menschen sind, kurz nach der Geburt, ein, zwei, drei, vier, fünf Jahre, haben wir im Prinzip das Bedürfnis, dass die Erwachsenen da sind und uns mit allem versorgen, was wir brauchen. Essen, Schlaf, Kleidung, Kuscheln, Liebhaben, Zuwendung, freundlich mit uns sprechen, uns durch die Gegend tragen und baden, mit uns spielen, mit uns lachen usw. Wir haben das Bedürfnis, dass etwas von außen zu uns kommt, was uns gut tut. Gleichzeitig haben wir großes Bedürfnis nach Schutz, dass die Erwachsenen dafür sorgen, dass alles, was nicht gut für uns ist, draußen bleibt, dass sie das fernhalten von uns. Und wenn unser Aufwachsen als Kind jetzt so war, das wir es nicht bekommen haben, was wir dringend brauchten, dass wir nicht die Zuwendung bekommen haben, nicht die Aufmerksamkeit bekommen haben, nicht die Wertschätzung haben, dann laufen wir den Rest unseres Lebens herum und wollen das von anderen Erwachsenen bekommen. Liebe mich. Nimm mich, wie ich bin. Sei da für mich. Und dann sind wir Dreijährige im Körper von erwachsenen Menschen, die zu anderen erwachsenen Menschen sagen: versorge mich mit allem, was ich brauche. Das ist Entwicklungstrauma. Die Vergangenheit dominiert über die Gegenwart.

Und wenn wir nicht geschützt wurden, wenn die Erwachsenen nicht alles von unserem Leben fern gehalten haben, was schädlich für uns ist, und wir Invasion erlebt haben, Grenzverletzungen erlebt haben, dann laufen wir heute als Erwachsene durch die Welt und schauen, wo ist die nächste Gefahr, die uns überflutet und die schädlich für uns ist. Wo ist jemand, der uns was Schlechtes will? Wo ist der nächste Mensch, der uns nicht das gibt, was wir brauchen? Wo ist die nächste Katastrophe, in die wir gleich hineingezogen werden.

Die Erfahrung der Vergangenheit dominiert das Erleben in der Gegenwart. Das ist Trauma.

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