Um unsere Sexualität vollumfänglich zu erleben, brauchen wir sowohl sexuelle Erregung als auch einen Körper, in dem sie schwingen kann. Traumatisierung schränkt diese Schwingungsfähigkeit ein. Die Integration traumatischer Erfahrungen gibt unserem System seine Schwingungsfähigkeit wieder zurück und wir können unsere Sexualität wieder genießen. Was bei der Traumatisierung mit unserem Körper passiert, vergleiche ich gerne mit dem Gitarrespielen.
Eine Gitarre besteht aus Saiten und einen Resonanzraum. Der sexuelle Impuls ist wie die Saite, die gezupft wird, und sie fängt an zu schwingen. Und der Resonanzraum in der Sexualität ist nichts anderes als unser Körper – und wenn wir zu zweit sind, der Körper unseres Partners oder unserer Partnerin. Der Klang wird dadurch spürbar und hörbar, dass er sich im Resonanzraum ausbreitet. Wenn ich an einer Saite ganz sanft zupfe, höre ich feine Töne. Wenn ich stärker an der Saite zupfe oder mit dem Plektrum einen Akkord schlage, werden das kräftige Töne.
Wenn die Saiten an unserem Körper zu lasch sind
Nach einer Traumatisierung kann der physische Körper durch den Impuls einer sexuellen Erregung nicht richtig in Schwingung geraten. Es ist, als ob an der Gitarre entweder eine Saite ganz lasch ist und überhaupt keine Spannung hat oder als ob sie überdreht ist und eine zu große Spannung hat. Im ersten Fall zupfe ich ein bisschen an ihr und es passiert gar nichts. Dann zupfe ich ein bisschen stärker an ihr und sie fängt an zu scheppern. Und wenn ich dann richtig an ihr reiße, dann kommt irgendwie auch ein Ton raus, aber es klingt nicht wirklich nach Musik und es macht keinen Spaß.
Das ist die Erfahrung, die viele Menschen machen. Weder die Impulse von innen, noch die Impulse von außen, noch die sexuelle Interaktion führen dazu, dass ihr traumatisiertes System anfängt zu schwingen. Sie fühlen einfach nicht viel. Dann fangen sie an immer wildere Sachen miteinander zu machen in der Hoffnung endlich irgendetwas zu spüren. Dann wird heftig gerieben und gerammelt und alle Stellungen werden ausprobiert und die tollsten Sachen versucht. Und manchmal passiert dann so etwas, wie das Scheppern der Saite an der Gitarre.
Wenn wir auf überdrehten Saiten spielen
Es geht aber auch in die andere Richtung. Wenn der Körper nach einer Traumatisierung zu viel Tonus und Anspannung hat, benimmt es wie eine überspannte Gitarrensaite. Die Saite ist schon fast auf Anschlag gespannt und wenn ich dann nur ein wenig dran zupfe, kommen ganz schnell die hohen Töne. Wenn ich jetzt anfange fester zu spielen, reißt mir entweder die Saite oder die Halterungen von der Gitarre ab. Und das Musizieren ist vorbei.
Auch das erleben traumatisierte Menschen. Es kommt ein ganz kleiner sexueller Impuls und sie haben das Gefühl, dass es schon zu viel ist. Ihre sexuelle Energie kann sich weder ausbreiten noch kann sie gehalten werden und häufig wird sie ganz schnell entladen. Es kommt zu ein bisschen sexueller Erregung und schon ist es wieder vorbei, weil der Resonanzraum versucht, die sexuelle Energie so schnell wie möglich wieder loszuwerden, weil er sie nicht halten und kultivieren kann.
Wie kann ich sexuelle Energie kultivieren?
Wie kann ich die sexuelle Energie in meinem Körper, aber auch gemeinsam mit meinem Partner oder meiner Partnerin kultivieren? Zum einen ist es wichtig zu wissen, wo ich mich selbst befinde. Bin ich in einem Körper, der sehr langsam in Schwingung kommt, weil alles fest sitzt? Oder bin ich in einem Körper, der ganz schnell in Schwingung kommt, weil sofort Resonanz zu allem entsteht? Dann ist es auch wichtig herauszufinden, wo unser Partner oder unsere Partnerin auf der Erregungskurve ist. Wenn die sexuelle Energie in unseren Körpern schwingungsfähig wird, können wir ein gemeinsames Tempo, in gemeinsamer Intensität gehen. Und unsere Sexualität wird zur Musik, in der Bass und Schlagzeug auf dem gleichen Beat spielen bzw. Geige und Bratsche sich melodisch ergänzen, je nachdem, ob die sexuelle Interaktion eher etwas saftiger oder eher etwas feiner ausgerichtet ist.