Trauma bedeutet seelische Verletzung. Die Folgen einer Traumatisierung sind in der Regel so tiefreichend und dauerhaft, dass traumatisierte Menschen ihre Traumata nicht alleine überwinden können. In meiner therapeutischen Praxis begegne ich oft Menschen, deren Trauma ihre Partnerschaft und ihr Sexualleben beeinträchtigt. In diesem Artikel erfährst du, wie die Definition von Trauma, seine Symptome und Ursachen zu verstehen sind, was Traumata mit Partnerschaft und Sexualität machen und ob man ein Trauma überwinden kann.
Definition von Trauma
Die Funktion des Traumas ist eine überfordernden Situation zu überleben. Würden wir nicht über die Fähigkeit verfügen, ein Trauma zu erzeugen, könnten wir bestimmte Erfahrungen nicht aushalten, weil der Schmerz sonst viel zu groß wäre. Eine überfordernde Situation kann ein Unfall sein, gewalttätige oder vernachlässigende Eltern, eine schwere Krankheit oder der Verlust einer wichtigen Bezugsperson.
Nachdem, ob das Trauma mit einem plötzlichen außerordentlichen Ereignis zusammenhängt oder in der Entwicklung des Kindes entstanden ist, unterscheiden wir zwei Arten von Traumata: Schocktrauma und Entwicklungstrauma, auf die ich weiter unten eingehen werde. Die zweite Art von Trauma ist schwerer zu erkennen und viele Menschen wissen gar nicht, dass sie darunter leiden. In beiden Fällen war das Trauma einmal eine Lösung für eine schwierige Situation, weil durch das Trauma der akute Schmerz und die Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit ertragbar wurden.
Hier sind einige mögliche Definitionen von Trauma, wie ich es verstehe:
1. Trauma ist die Dominanz von der Vergangenheit über die Gegenwart
Das Trauma ist nicht das Ereignis selbst, sondern seine Auswirkung auf das Nervensystem und eine lebensrettende Reaktion auf die überlastende Situation. Aber das Trauma bringt weitreichende Gefühlsveränderungen mit sich und führt dazu, dass man in seiner Vergangenheit gefangen bleibt. Im Leben eines traumatisierten Menschen dominiert die Vergangenheit über die Gegenwart.
2. Trauma ist seelische Verletzung
Das Trauma entstand in einer überfordernden Situation, die wir versuchten so gut zu überleben, wie wir konnten. Was in der akuten Situation eine Lösung war, wird im weiteren Leben oft zu einem Problem. In seinem subjektiven Erleben erfährt ein Traumatisierter die bedrohliche Situation immer wieder und sein Leben dreht sich um die Verletzung aus der Vergangenheit.
3. Trauma ist eine Beschränkung des Nervensystems
Bei einer Traumatisierung verliert das Nervensystem des Menschen seine ursprüngliche Flexibilität und das bedeutet, dass wir das Leben nicht mehr in seiner Fülle wahrnehmen, genießen und gestalten können.
Symptome bei Traumatisierung
Wie sich ein Trauma im Gegenwartsleben manifestiert, sind seine Symptome. Das sind Verhaltensmuster, Erlebens- und Wahrnehmungsweisen, die für einen traumatisierten Menschen typisch sind, ohne dass sie zu gewollt oder bewusst hervorgerufen werden.
In schlechteren Fällen sorgt das Trauma dafür, dass Menschen sich in gefährliche Situationen bringen, völlig von ihren Gefühlen abgeschnitten sind, keinen befriedigenden Zugang zu ihrer Sexualität finden, keine echten Beziehungen eingehen können oder mit Alkohol und anderen Drogen ihr lädiertes Nervensystem beruhigen. Manche Menschen sind durch Trauma völlig ihrer Lebensenergie beraubt, leben antriebslos vor sich hin und bekommen ihren Alltag kaum bewältigt.
Schocktrauma und Entwicklungstrauma
Vielleicht denkst du bei Trauma vor allem an so etwas wie Flugzeugabstürze, Krieg und Naturkatastrophen. Aber ein Trauma zu haben, bedeutet mehr als einen Unfall überlebt, den Tod eines nahestehenden Menschen betrauert oder sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Denn solche großen Ereignisse, auch Schocktraumata genannt, sind nur ein Ausschnitt der traumatisierenden Erfahrungen, die wir als Menschen in unserem Leben machen können.
Entwicklungstraumata hingegen sind häufig versteckter und subtiler in ihrem Wirken und finden bisher in unserer Kultur noch nicht die entsprechende Beachtung. Sie sind in zwei Gruppen aufzuteilen. In der einen Gruppe sind all die invasiven Erfahrungen, die wir gemacht haben. Abwertungen, Schläge, ruppiges Verhalten uns gegenüber, Anschreien, Beschämungen, inadäquate Spiegelungen, sexuelle Übergriffe durch unsere Bezugspersonen usw. Also alles, was von außen schädigend in uns eingedrungen ist und meistens von Menschen verursacht wurde, die wir kannten und mit denen wir regelmäßig Kontakt hatten.
In der anderen Gruppe sind die Erfahrungen von Vernachlässigung und Verlassenheit. Abwesende Eltern, egal ob körperlich abwesend oder emotional unerreichbar und unzugänglich. Mangelnde Ansprache als Kind, zu wenig fürsorglicher Körperkontakt, ungenügende Ernährung, mangelnde Körperpflege, unpassende oder fehlende Spielmöglichkeiten usw. All das, was wir als Kinder gebraucht hätten, um uns gesund zu entwickeln und was wir entbehren mussten.
Was macht Trauma mit einer Partnerschaft?
Ein Trauma beeinflusst das Leben auf allen Ebenen. Meine Spezialisierung ist die Praxis für Sexualität und Partnerschaft, ein Lebensabschnitt, der unser Wohlbefinden, Vergnügen und Freude besonders stark beeinflusst.
Bei manchen Paaren sind es immer wiederkehrende Streitereien, ohne dass sich eine Lösung finden lässt, andere schweigen sich endlos lange an. Wieder andere verlieren die sexuelle Anziehung füreinander und manche fragen sich, ob sie vielleicht den falschen Partner haben, ohne wirklich zu dem Schluss kommen zu können, ob die Trennung für sie besser war oder nicht.
Paare wählen sich einander als Partner aus. Und das, was erstmal aussieht und sich anfühlt wie verliebt sein, ist oft nichts anderes, als die Wiederholung eines alten Bindungsmusters aus der Vergangenheit. Und so wird ein Paar ein Traum(a)-Paar.
Ich höre immer wieder von Menschen: „Ich muss mich erst mal selbst auf die Spur bringen, bevor ich eine Partnerschaft leben kann.“ Aber das klingt in meinen Ohren so, als würde jemand sagen: „Ich muss erst einmal schwimmen lernen, bevor ich ins Wasser springe.“ Und das funktioniert einfach nicht. Traumata, die in menschlichen Beziehungen entstanden sind, brauchen menschliche Beziehungen, um transformiert zu werden. Und lass dir versichern: In einer Partnerschaft werden immer beide Partner von den Erfahrungen der Vergangenheit eingeholt und es verlieren sich immer beide im Traumawirbel, der durch die intime Beziehung ausgelöst wird.
Möchtest du mehr darüber erfahren, wie Trauma Sexualität und Partnerschaft beeinflusst und ob das auch dich betrifft? Hier kannst du mein Tutorial „Trauma in Sexualität und Partnerschaft“ inklusive Videos und Artikel kostenfrei erhalten.
Trauma in Sexualität
Deine Sexualität kann nur so lebendig, freudvoll, heiß und befriedigend sein, inwieweit dein Nervensystem einen Raum schaffen kann, in dem sexuelle Erregung schwingen kann. Das funktioniert so, wie der Resonanzraum der Gitarre, der den Klang der schwingenden Gitarrensaite zur vollen Entfaltung bringt. Traumatisierung schränkt diese Schwingungsfähigkeit ein.
Trauma führt zu massiven Einschränkungen des sexuellen Erlebens. Frühzeitige Ejakulation, Orgasmusschwierigkeiten oder Erektionsprobleme, Erregungslosigkeit genauso, wie Übererregung, Lustlosigkeit genauso, wie das Gefühl, von Sexualität regelrecht abhängig zu sein, um irgendwie ins Leben und in die Regulation zu kommen. Die drei häufigste Traumasymptome beim Sex beschreibe ich in diesem Artikel.
Besonders trickreich ist der Umstand, dass Traumata, die sich in der Sexualität bemerkbar machen, oft gar nichts mit Sexualität zu tun haben, sondern mit Bindungsthemen und Beziehungsmustern. Wie sich Schock- und Entwicklungstraumata genau auf unsere Sexualität auswirken, erfährst du in meiner Webinar-Trilogie Sex & Trauma.
Trauma überwinden oder Trauma transformieren?
Ich werde oft gefragt, wie man ein Trauma „loswerden“ kann oder wie man traumatische Erfahrungen „überwinden“ kann. Ich sag dann immer, dass ich denke, dass das nicht geht. Ein Trauma zu „heilen“ finde ich auch nicht wirklich eine treffende Formulierung, weil Trauma keine Erkrankung ist, nach deren Genesung alles wieder ist wie vor der Erkrankung. Meiner Erfahrung nach können Traumata aber transformiert werden. Das bedeutet, dass der traumatisierte Mensch eine Aufgabe hat, der er sich stellt oder nicht, die er bewältigt oder auch nicht. Es bedeutet, dass wir uns entscheiden müssen, wie wir mit der Traumatisierung umgehen wollen. Und egal, wie schnell oder langsam, intensiv oder in ganz kleinen Portionen wir diese Aufgabe anpacken, wichtig ist, dass wir sie anpacken.
Am Anfang ist es wichtig, sich gut in deinem Problem zu orientieren und zu klären, was genau du in deinem Leben ändern möchtest und warum. Vieles lässt sich online erledigen, sei es in Form von Online-Kursen oder Webinaren. Eine systematischere Arbeit erfordert eine Einzel- oder Paartherapie.
Die Geschichte meiner Traumatransformation
Ende der sechziger Jahre wurde ich in eine Familie mit massiven transgenerationalen Traumata hineingeboren. Als ich mit zwölf Jahren Schüler der Odenwaldschule wurde, war ich über viele Jahre sexualisierter Gewalt durch Erwachsene ausgesetzt. Diese Erfahrungen versuchte ich mit Alkohol zu regulieren. Mit neunzehn Jahren verließ ich, schwer traumatisiert und alkoholabhängig, das Vorzeigeinternat.
Wenige Jahre später folgte ein Alkoholentzug und erste Gehversuche in ein gesundes Leben, die damals alle eher einem Stolpern glichen. Die Transformation meiner Traumata war eine Reise von tausenden kleinen Schritten, bei der ich manchmal auch ein paar hundert Schritte rückwärts gemacht habe. Ich bin jetzt in meinen Fünfzigern und kann sagen: ich bin dankbar für mein friedliches und überwiegend freundliches Leben, das ich mit meiner wunderbaren Frau an meiner Seite teile und mit der ich versuche, die Herausforderungen des Lebens, gemeinsam, so gut wir können, zu meistern. Und ich finde, das gelingt uns immer öfter, immer besser.
Auf meinem Genesungsweg habe ich viele therapeutische Verfahren kennengelernt und mir einige davon selbst angeeignet. Ich habe Menschen kennengelernt, die ihre eigenen Traumata so transformiert haben, dass sie mir etwas von ihrem Wissen und ihrer Erfahrung weitergeben konnten, wofür ich sehr dankbar bin. Auch dank dieser Begegnungen weiß ich, dass es möglich ist, mit einer schmerzlichen Biographie ein freudvolles und oft auch friedliches Leben zu führen. Ein Leben, das so viel mehr ist als nur Überleben. Ein Leben, das sich lohnt.