Sex und Trauma. Sprengstoff oder Treibstoff? Wie nach traumatischen Erfahrungen eine lustvolle Sexualität gelingen kann, ist eine Mischung aus Wissen um die Mechanik unseres Körpers und aus Versuch und Irrtum. Sex & Trauma? Sex mit Trauma? Oder Sex trotz Trauma? In diesem Artikel biete ich dir 5 Schnellstart-Empfehlungen an, wenn deine Sexualität von Trauma belastet ist.

Sex & Trauma Es werden Geschlechtsteile geleckt, massiert und mit Sexspielzeug bearbeitet. Die heißesten Klamotten werden getragen, Brüste operiert und Muskeln aufgebaut. Es wird in allen Stellungen gevögelt, mit den raffiniertesten Techniken versucht sexuelle Hitze zu erzeugen und mit erotischem Bildmaterial die Synapsen im Hirn befeuert. Je nach sexueller Identität wird tantrisch im Yab Yum Sitz Feuer geatmet, werden im Swinger-Club die Partner getauscht oder auf Sex-Partys beim Gang-Bang die Kopulationsfrequenz maximiert. Oder es wird das gemacht, was man schon immer sonntagmorgens im ehelichen Schlafzimmer macht. Wie Bratkartoffeln. Immer gleich. Immer lecker. Mit Erfolg? Mal mehr, mal weniger. Mal bringt ein neues Spiel oder ein neues Spielzeug die Akteure in Stimmung, mal versagen die gebündelten Aktivitäten und die sexuelle Lust lehnt die Einladung ab, sich in ihrer vollen Blüte zu entfalten. Hilft zu Beginn einer sexuellen Beziehung das körpereigene Hormon Dopamin der Lust auf die Sprünge und kompensiert Dissonanzen und Fragmentierungen, drängeln sich im Laufe der Zeit die unbearbeiteten Themen in den Vordergrund und das Trauma gewinnt wieder die Oberhand. Was tun? Das ist eine der vielen Fragen, die mir in meiner Praxis für Sexualität, Trauma & Partnerschaft begegnen. Vor den Schnellstart-Empfehlungen zu einer lustvollen Sexualität nach traumatischen Erfahrungen möchte ich ein paar Zusammenhänge erklären. Desweiteren einige Beobachtungen aus meiner Praxis anbieten.

Trauma erzeugt Lustlosigkeit, Scham und Leere

Trauma ist der natürliche Feind der Lebendigkeit. Ein Trauma zu haben bedeutet, dass eine überwältigende Erfahrung der Vergangenheit das Erleben in der Gegenwart dominiert. Und manchmal ist das so stark, dass ein freudvolles Leben nicht mehr vollumfänglich möglich ist. Und das betrifft dann natürlich auch die Sexualität. Denn genau da brauchen wir ein gesundes und flexibles Nervensystem. Was tun, wenn alles getan wurde, um eine lustvolle Sexualität zu entwickeln, sich aber die Freude daran einfach nicht einstellen will? Dann geht das häufig einher mit einem Gefühl von großer Scham. Nicht gut zu sein. Nicht zu funktionieren. Einen Fehler zu haben. Dem Partner oder der Partnerin nicht zu genügen. Nicht mitreden zu können. Es entsteht ein Gefühl von Leere, von Mangel und von Unverbundenheit. Mehr darüber, in meinem Artikel: Traumatherapie unter der Lupe. Wenn sich die sexuelle Energie des Menschen nicht entfalten kann, bleibt ein kraftvoller Teil von uns ungelebt. Die Scham darüber ist oft so groß, dass das Thema ganz schnell wieder verdrängt wird. Manche packen aber auch den Stier bei den Hörnern und begeben sich auf eine Forschungsreise. Denn wenn das Trauma die sexuelle Erregung blockiert, braucht es Informationen, Mut, Ausdauer und ein paar richtige Entscheidungen, damit der Genesungsprozess initiiert werden kann. Mehr zum Thema Trauma erfährst du hier.

Der Feind der Lebendigkeit ist das Trauma

Um sexuelle Lust zu empfinden, muss der menschliche Körper schwingen können, wie ein Instrument. Ein weicher Körper, ein flexibles Nervensystem und ein ruhiger Geist sind die Voraussetzungen um sexuelle Energie zu beherbergen. Damit sie entstehen und bleiben kann. Damit die Liebenden die Gelegenheit haben, die eigenen Schwingungen mit den Schwingungen des Gegenübers zu verbinden. Dazu braucht es die Fähigkeit, sexuelle Energie aufzubauen und zu halten. Der Körper wird bei diesem Prozess warm und vibriert. Die Sinne öffnen sich.

kostenloses Video-Tutorial über Trauma in Sexualität und Partnerschaft

 

Trauma tötet Lust

Durch Traumatisierung ist die Schwingungsfähigkeit beschädigt worden oder ganz verloren gegangen. Sexuelle Erregung kann nicht mehr von innen heraus oder durch freundliche Einladungen entstehen. Der Mensch bleibt kalt. Das Nervensystem ist erstarrt. Wie eine gefrorene Gitarrenseite. Oder die Person befindet sich durch Traumatisierung in einem dauernden Zustand der Übererregung. Dadurch kann die sexuelle Energie zwar in Erscheinung treten, sich aber nicht entfalten. Es ist einfach viel zu viel Energie im menschlichen System. Vorzeitige Ejakulationen, ein Zustand von Unzufriedenheit und Leere, trotz Orgasmen, sind die Folge. Wenn die viel zu starke Erregung des Menschen während der sexuellen Aktivität nicht mehr gehalten werden kann, sucht sie sich einen anderen Kanal zur Entladung. Dauergequassel im Bett, gedankliche Überbeschäftigung mit dem nächsten choreografischen Schritt beim Liebesspiel sind mögliche Symptome dieser Dysbalance. Ein häufiges Symptom von Traumatiserung ist die Dissoziation. Besonders beim Sex. Die Person hat dann das Gefühl, „nicht richtig da zu sein“. Die Gedanken sind sonstwo, aber nicht bei der Sache. Der Körper fühlt sich gefühllos an oder total überreizt. Die Emotionen spielen verrückt oder machen Urlaub auf Planet Lalaland. Alles ist viel zu viel und viel zu wenig gleichzeitig. Weitere Lustkiller sind Eifersucht und Trennungsphantasien, die im Kontext von Trauma als Muster in Erscheinung treten. Dysfunktionale Nähe-Distanz-Regulation, Reinszenierung von Entwicklungstraumata und die Aktivierung von alten Schamgefühlen sind weitere unangenehme Erfahrungen der Akteure. Das sind nur ein paar Beispiele. Es gibt noch viel mehr.

It takes two to Tango

Die an der gemeinsamen Sexualität beteiligten Partner (ich gehe jetzt mal klassischer Weise von zweien aus, aber die Zahl der in Polyamorie lebenden Menschen nimmt beständig zu) müssen in schwingungsfähig sein, um mit dem anderen in eine sexuelle Resonanz zu kommen, um gemeinsam ein energetischer Köper zu werden. Wenn einer der Tanzenden plötzlich stehen bleibt oder die Tanzfläche verlässt, klappt´s nicht. Es gibt auch symbiotische Formen des gemeinsamen Schwingens, bei der ein Partner sehr wenig schwingt und der andere in einem Zustand der Übererregung ist. Bei dieser Konstellation regulieren sich beide über den jeweils anderen, schwingen aber nicht wirklich miteinander. Es ist dann so, dass einer das Übermaß an Energie des anderen nutzt, um selbst in Schwingung zu kommen. Der andere nutzt das Energiedefizit, um seine übermäßige Energie abzuleiten. Das ist dann eine Form, ein Traum(a) Paar zu sein. Es gibt aber noch viele andere Varianten.

 

Das Trauma und der Blick hinter die Kulissen

Die Lösung des Dilemmas liegt im Wiederfinden unserer inneren Balance. Die Bearbeitung des eigenen traumatischen Materials ist ein wesentlicher Schlüssel. Dabei ist es eher unerheblich, welche Ursachen unsere persönlichen Traumata haben. Entscheidend ist die Wiederherstellung der natürlichen Flexibilität unseres Nervensystems. Die Wiederherstellung unserer vollen Empfindungsfähigkeit. Sind andere Menschen an unseren Traumata als Verursacher beteiligt, haben wir es mit einer komplexen Situation zu tun, weil Vertrauensverluste und Enttäuschungen bearbeitet werden müssen. Ist sexualisierte Gewalt ursächlich für die Traumatisierung, muss differenziert werden zwischen Gewalt und Sexualität. Das bedarf etwas erhöhter Aufmerksamkeit. Und manchmal auch Durchhaltevermögen und Geduld. Je mehr Ähnlichkeiten zwischen der traumatisierenden Situation und der erwachsenen Sexualität in Erscheinung treten, desto mehr und umso heftigere „Trigger“ werden bei sexuellen Aktivitäten ausgelöst. Hier gestaltet sich der Bearbeitungsprozess meist etwas umfangreicher.

Unterkomplexität als Kompassnadel im Dschungel von Trauma und Orientierungslosigkeit

Die Gebrauchsanweisung für mein neues Lap-Top hat 457 Seiten. Die Schnellstart-Variante besteht aus acht Bildern. Das reicht aus, um loszulegen, wenn man ungefähr weiß, wie ein Computer funktioniert und sich auf der Benutzeroberfläche zurechtfindet.

Sexualität mit Trauma im Schnell-Start-Menü

Die Genesung von traumatischen Erlebnissen und die Entwicklung einer Sexualität, die der jeweiligen Person gemäß ist, bedeutet nicht weniger, als die Deutungs- und Handlungshoheit über das eigenen Sein zurückzugewinnen. Es ist für jeden Menschen möglich, Genesungsschritte zu machen, die ihm oder ihr mehr ermöglichen, die Sexualität zu leben, die herbeigesehnt wird. Hier sind 5 mögliche erste Schritte auf dieser Reise:

Erstens: Alles weiter machen, was Freude bereitet

Alles, was Freude macht, alles, was Lust bereitet, alles, was sich angenehm anfühlt, alles, was entspannt, alles, was Kontakt und Verbindung zu mir selbst und meinem Gegenüber herstellt, kann und soll fortgesetzt werden. Auch, oder gerade dann, wenn diese Liste der positiven Erlebnisse ganz kurz ist. Besonders, wenn Sexualität und Körperlichkeit als problematisch erlebt werden, gilt es, das Gold im Schutt zu finden. Um zu erleben, dass es grundsätzlich möglich ist, angenehme Erlebnisse zu haben (das ist wichtig für den Kopf) und um den Körper mit seiner Empfindungsfähigkeit zu pflegen (das ist wichtig für den Körper und die Gefühle).

Zweitens: Alles stoppen, was triggert. Jetzt!

Jede neue unangenehme Erfahrung retraumatisiert das ohnehin geschädigte Nervensystem. Es ist unsinnig, immer wieder die eigenen Grenzen zu überschreiten und etwas zu tun, was unangenehm ist oder sogar triggert. Das macht alles nur noch schlimmer! Es können bestimmte Berührungen sein, Küsse, Worte, oder ritualisierte Handlungen innerhalb der sexuellen Aktivität. Manche triggert Sex im Schlafzimmer, weil sie im Schlafzimmer als Kind Übergriffe erlebt haben, manche die Dunkelheit, manche das Licht, die Liste ist endlos. Solange ein bestimmter Trigger ausgelöst wird, macht es keinen Sinn so weiter zu machen, in der Hoffnung, dass das irgendwann aufhört. Alles was passiert ist, dass Seele und Körper taub werden. Wie bei der ursprünglichen Traumatisierung.

Drittens: Das traumatische Material bearbeiten

Das eigene traumatische Material zu bearbeiten lohnt sich. Es ist manchmal schwierig, einen geeigneten Therapieplatz zu finden. Und schmerzhaft, sich der eigenen Geschichte und dem eigenen Seins-Zustand zu stellen. Oft dauert es lange, bis sich Veränderungen einstellen. Aber was ist die Alternative? Auf Spontangenesung hoffen? Immer so weiter wurschteln? Ich kann dir auf jeden Fall meinen Onlinekurs „Raus aus der Beziehungskrise“ empfehlen, mit dem du dich, deine Partnerschaft und deine Sexualität so erforschen und verändern kannst, dass du dich selbst besser kennen lernst und deinem Ziel, einer lebendigen Sexualität, näher kommst.

Onlinekurs mit Andreas Huckele

Viertens: Die eigenen Vorstellungen von Sexualität prüfen

Ich bekomme immer wieder Geschichten erzählt, bei denen mir Menschen berichten, dass Sexualität sie triggert. So gut wie immer triggert. Wenn ich nachfrage, was da genau passiert, bekomme ich häufig Antworten, die sich komprimiert so zusammenfassen lassen: Das, was da stattfindet, ist keine dialogische, gewaltfreie, zugewandte und achtsame Sexualität, sondern die modifizierte Fortsetzung von gewaltsamen oder achtlosen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Oder: Das, was da stattfindet, ist die Realisierung von Vorstellungen darüber, wie Sexualität sein soll und nicht der Ausdruck eines inneren Bedürfnisses. Da werden stur Handlungsabfolgen abgespult, die durch Gesellschaft und Medien ein dominantes Bild im Kopf der jeweiligen Person erzeugt haben, die aber keine Schnittmenge zur tatsächlichen sexuellen Bedürfnislage aufweisen. Die Ausformulierung der eigenen Wünsche und Vorstellungen ist hilfreich. Für sich selbst und für das sexuelle Gegenüber. Lies hierzu mein E-Book zur Paarkommunikation.

Fünftens: Habe ich den geeigneten Spielkameraden respektive Spielkameradin (oder einen Menschen, der sich nicht im binären System wiederfindet)?

Hat mein sexuelles Gegenüber Interesse an einer dialogischen, ergebnisoffenen und achtsamen Sexualität? Oder zumindest die Bereitschaft, eine solche zu entwickeln? Zeigt die Kompassnadel meines Gegenübers in die gleiche Richtung? Falls ja: Herzlichen Glückwunsch! Falls nein: Dann gilt es zu prüfen, ob die Auswahl des Partners oder der Partnerin eine zukunftsweisende ist oder ob es darum geht, sich zu verabschieden. Ich hoffe, meine Empfehlungen sind hilfreich für dich. Trauma zu integrieren ist eine Abenteuerreise in den Dschungel der eigenen Biographie, kein Wochenendausflug nach Disneyland. Nimm dir Zeit, sei achtsam mit dir und deinem Gegenüber und lebe mit dem Bewusstsein, dass sich der Weg in ein besseres Leben immer lohnt, auch wenn er beschwerlich ist, lange dauert und von Krisen und Rückschlägen begleitet wird. Es ist einfach wichtig, den ersten Schritt zu machen!